Chinas Immobilienkrise: Chancen, Risiken und Lektionen aus der Vergangenheit

China hat sich in den letzten Jahrzehnten von einem wirtschaftlich isolierten Land zu einer der wichtigsten Handelsnationen der Welt entwickelt. Trotz allem hat es mit einer anhaltenden Immobilienkrise zu kämpfen, auf welche die chinesische Regierung nun mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket reagiert.

Autor: Tom Griebel
11. November 2024
Lesedauer 5,5 Min.
Viele Bauarbeiter arbeiten an einem Gebäudegrundriss

Inhalt

Seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik in den 1970ern hat China einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufstieg erlebt. In knapp 40 Jahren ist das Land von der Peripherie ins Zentrum der Weltwirtschaft gerückt. Während China 1980 weniger als zwei Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachte, trägt es heute mehr als 18 Prozent bei. Nach kaufkraftbereinigtem BIP ist China mittlerweile die größte Volkswirtschaft der Welt, obwohl es in Bezug auf den Entwicklungsstand noch hinter führenden Industriestaaten zurückbleibt.

Grafik: XXXX

Die Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft

Der Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 und die Öffnung für ausländische Investitionen machten China zu einem zentralen Akteur im Welthandel. Durch Produktionsverlagerungen internationaler Konzerne wurde China zur „Werkbank der Welt“ und einem wichtigen Absatzmarkt für Konsumgüter. Die Nachfrage Chinas nach Rohstoffen und Technologien befeuerte das globale Wachstum und bot anderen Volkswirtschaften, insbesondere in Asien, Europa und Nordamerika, eine beispiellose Wachstumschance.1

Diese Entwicklung führte zu einem massiven Wirtschaftswachstum, das das globale Wachstum maßgeblich mit antrieb. Die chinesische Nachfrage nach Rohstoffen, Maschinen und Luxusgütern hatte direkte Auswirkungen auf die Wirtschaftsleistung anderer Länder.

Die jahrzehntelange Erfolgsgeschichte des chinesischen Wirtschaftswunders schien lange unantastbar. Doch in den letzten Jahren sind zunehmend Schwächen in diesem Bild des stetigen Aufschwungs sichtbar geworden. Die einst als unverrückbar geltende Wachstumsmaschine Chinas steht nun vor bedeutenden Herausforderungen, die nicht nur die heimische Wirtschaft, sondern auch die globalen Märkte in Spannung versetzen.2

Die Bedeutung des chinesischen Immobilienmarktes

Der chinesische Immobilienmarkt verzeichnete in den letzten Jahrzehnten ein beispielloses Wachstum, angetrieben von mehreren Faktoren. Einer der Hauptmotoren war die rasante Urbanisierung in den 1990er und frühen 2000er Jahren, die zu einer massiven Landflucht und einem enormen Bedarf an städtischem Wohnraum führte, was den Immobilienmarkt stark belebte.

Gleichzeitig sorgte Chinas wirtschaftlicher Aufschwung für steigenden Wohlstand und eine wachsende Mittelschicht, die zunehmend über die finanziellen Mittel verfügte, in Immobilien zu investieren. Da es an alternativen Anlagemöglichkeiten mangelte, flossen große Teile der Ersparnisse in den Immobilienmarkt und verstärkten so die Nachfrage weiter.

Mit den stetig steigenden Immobilienpreisen setzte eine Spekulationswelle ein, die Immobilien als lukrative Investitionsobjekte noch attraktiver machte und einen sich selbst verstärkenden Zyklus anheizte. Diese Mischung aus demografischen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren trieb das beispiellose Wachstum des chinesischen Immobilienmarktes maßgeblich voran.

Die stetig steigenden Immobilienpreise lösten schließlich eine Spekulationswelle aus. Immobilien entwickelten sich zu begehrten Spekulationsobjekten, was die Nachfrage zusätzlich ankurbelte und einen sich selbst verstärkenden Zyklus schuf. Diese Mischung aus demografischen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren trug entscheidend zum dynamischen Wachstum des chinesischen Immobilienmarktes bei.

Eine Wende kam jedoch im August 2020, als die Regierung mit den sogenannten „drei roten Linien“ strengere Vorschriften zur Schuldenbegrenzung der Entwickler einführte. Diese plötzlichen Regelungen führten zu erheblichen Finanzierungsschwierigkeiten für zahlreiche Unternehmen. 2021 spitzte sich die Situation zu, als große Entwickler wie Evergrande ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnten, was zu einem Stillstand im gesamten Sektor führte. Zahlreiche Bauprojekte blieben unvollendet, wodurch das Vertrauen der Käufer und Investoren stark erschüttert wurde.

Quelle: Kunath, Gero, 2024, Chinas Immobilienkrise. Regierung sieht Risse im Fundament, IW-Kurzbericht, Nr. 37, Köln

Auswirkungen auf die chinesische Wirtschaft

Die platzende Immobilienblase in China hat tiefgreifende Folgen für chinesische Verbraucher. Für viele Haushalte, deren Vermögen überwiegend in Immobilien investiert ist, bedeutet der Preisverfall erhebliche Verluste. Dieser Vermögensverlust wirkt sich direkt auf das Konsumverhalten aus und könnte zu einem Rückgang der Ausgaben um schätzungsweise 430 Milliarden Yuan führen.

Darüber hinaus hat die Krise das Vertrauen der Verbraucher in den Immobilienmarkt dauerhaft erschüttert. Unvollendete Bauprojekte und fehlgeschlagene Investitionen verstärken die Unsicherheit, sodass viele Haushalte größere Anschaffungen oder zusätzliche Investitionen scheuen.3

Auch die steigende Arbeitslosigkeit im Bau- und Immobiliensektor verschärft die Lage. Zahlreiche Unternehmen mussten umfangreiche Stellenkürzungen vornehmen, was den finanziellen Druck auf die Haushalte weiter erhöht. Diese Unsicherheit hat langfristige Auswirkungen auf das Spar- und Konsumverhalten der Menschen, die zunehmend auf finanzielle Sicherheit bedacht sind und ihre Ausgaben entsprechend zurückfahren.

Die chinesische Regierung hat zahlreiche gezielte Maßnahmen ergriffen, um den angeschlagenen Immobilienmarkt zu stabilisieren und eine Verschärfung der Krise zu verhindern. Im Mittelpunkt dieser Bemühungen steht die umfangreiche Erweiterung von Kreditprogrammen. Die finanzielle Unterstützung für Wohnbauprojekte auf der sogenannten „weißen Liste“ – die kreditwürdige Projekte und Bauträger umfasst – soll bis Ende 2024 auf bis zu vier Billionen Yuan (rund 517 Milliarden Euro) steigen.

Zusätzlich hat die Regierung im September 2024 Zinssenkungen für Wohnbaudarlehen angekündigt und Geschäftsbanken angewiesen, den Hypotheken-Leitzins um mindestens 30 Basispunkte zu reduzieren. Um gezielt gefährdete Immobilienprojekte zu fördern, identifizieren lokale Behörden kritische Vorhaben für spezielle Kredite durch chinesische Staatsbanken, wobei vorfinanzierte Wohnbauprojekte bevorzugt werden. Zudem wurde ein Ankaufprogramm im Umfang von 300 Milliarden Yuan (etwa 38 Milliarden Euro) eingerichtet, das Lokalregierungen ermutigen soll, gefährdete Immobilienprojekte zu unterstützen.

Diese Maßnahmen zielen darauf ab, unfertige Bauprojekte abzuschließen, den Abwärtstrend im Immobiliensektor zu stoppen und das Vertrauen der Verbraucher zu stärken. Dabei wird besonderer Wert auf ein behutsames Vorgehen gelegt, um ein abruptes Platzen des ohnehin geschwächten Marktes zu vermeiden und gleichzeitig die wirtschaftliche Stabilität des Landes zu wahren.4

Wie ist die Situation historisch einzuordnen?

Der Zusammenbruch eines Immobilienmarktes ist in der Geschichte der Schwellenländer kein seltenes Phänomen, und die aktuelle Situation in China weist Parallelen zu früheren Krisen auf. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist der Kollaps des japanischen Immobilienmarktes in den späten 1980er Jahren. In Japan führte eine Mischung aus niedrigen Zinsen, spekulativen Investitionen und übermäßiger Kreditvergabe zu einer massiven Immobilienblase. Die Ausmaße dieser Blase waren beispiellos: Auf ihrem Höhepunkt erreichte der Grundstückswert des Kaiserpalastes in Tokio theoretisch den gesamten Immobilienwert Kaliforniens, und fast zwei Drittel des weltweiten Immobilienwertes konzentrierten sich in Tokio.5

Der darauffolgende Zusammenbruch im Jahr 1990 löste eine langanhaltende wirtschaftliche Stagnation aus, die als „Verlorene Dekade“ bekannt wurde. Diese Phase war gekennzeichnet durch Deflation, wirtschaftliche Lähmung und einen erheblichen Anstieg der Staatsverschuldung.6

Obwohl die japanische Krise oft als Extremfall gilt, ist sie Teil eines größeren Musters von Boom-und-Bust-Zyklen im Immobilienmarkt. In den folgenden Jahrzehnten erlebten zahlreiche Länder ähnliche, wenn auch weniger dramatische Krisen:

Schweden – Immobilienkrise der frühen 1990er:

Anfang der 1990er Jahre erlebte Schweden eine schwere Immobilien- und Bankenkrise. Nach einer Deregulierung des Finanzsektors in den 1980er Jahren entstand eine Kreditblase, die schließlich in einem Zusammenbruch des Immobilienmarktes und einer Bankenkrise endete.

Thailand – Asienkrise 1997:

Zwar nicht ausschließlich eine Immobilienkrise, doch trug der Zusammenbruch des überhitzten thailändischen Immobilienmarktes wesentlich zur Asienkrise bei. Die Konsequenzen waren eine starke Abwertung der Währung, Bankenzusammenbrüche und eine regionale Wirtschaftskrise.

USA – Subprime-Krise 2007-2008:

Die US-Immobilienkrise, die 2007 begann, gilt als klassisches Beispiel für eine geplatzte Immobilienblase. Begünstigt durch leichtfertige Kreditvergabe und komplexe Finanzprodukte, platzte die Blase und löste eine globale Finanzkrise aus. Die Folgen waren stark fallende Immobilienpreise, hohe Arbeitslosigkeit und eine tiefe Rezession, die als „Große Rezession“ bekannt wurde.

Irland – Celtic Tiger Crash 2008-2013:

Ähnlich wie in Spanien führte in Irland der Einbruch des überhitzten Immobilienmarktes nach einer Phase rasanten Wirtschaftswachstums („Celtic Tiger“) zu einer tiefen Krise. Der Bankensektor stürzte ab, der IWF musste eingreifen, und das Land geriet in eine schwere Rezession.

Spanien – Immobilienkrise 2008-2014:

In Spanien führte das Platzen der Immobilienblase 2008 zu einer schweren und langanhaltenden Wirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit stieg auf über 26 %, das BIP schrumpfte erheblich, und der Bankensektor benötigte umfangreiche staatliche Rettungsmaßnahmen.

Wenn eine Immobilienblase platzt, führt dies typischerweise zu einem Teufelskreis aus fallenden Immobilienpreisen, Kreditausfällen, Bankenproblemen und wirtschaftlicher Rezession. Solche Immobilienkrisen sind nicht selten und zeigen, dass Regierungen zwar nicht immer direkt für das Entstehen solcher Blasen verantwortlich sind, jedoch wertvolle Lektionen für die Zukunft daraus ziehen können. Diese Lektionen verdeutlichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Regulierung des Immobilien- und Finanzsektors sowie einer umsichtigen Geldpolitik, um ähnliche Krisen in der Zukunft zu vermeiden.

Fazit

Die chinesische Regierung hat mit einem umfangreichen Maßnahmenpaket auf die anhaltende Immobilienkrise reagiert. Dieses Szenario ist in der Wirtschaftsgeschichte nicht unbekannt und erinnert an frühere Immobilienblasen, wie die japanische Krise der späten 1980er Jahre oder die US-Subprime-Krise 2007-2008. Chinas Ziel ist es, den Abwärtstrend zu stoppen, das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen und die wirtschaftliche Stabilität zu wahren. Kurzfristig haben diese Schritte bereits positive Reaktionen an den Aktienmärkten hervorgerufen.

Langfristig birgt dieses Vorgehen sowohl Chancen als auch Risiken. Einerseits könnten die Maßnahmen, ähnlich wie in Spanien nach 2008, eine abrupte Marktkorrektur verhindern und durch Lockerung der Kreditvergabe sowie Zinssenkungen das Verbrauchervertrauen steigern. Andererseits besteht, wie wir es in Japan erlebt haben, die Gefahr, dass strukturelle Probleme nur aufgeschoben werden.

Ein weiteres Problem, das sich in vergangenen Krisen wie der irischen „Celtic Tiger“ Blase zeigte, ist die Herangehensweise. Die angekündigten Maßnahmen konzentrieren sich vorwiegend auf die Angebotsseite, während die eigentliche Problematik in der schwachen Nachfrage liegt.

Für einen nachhaltigen Erfolg muss China, wie es andere Länder nach Immobilienkrisen getan haben, eine Balance zwischen kurzfristiger Marktstabilisierung und grundlegenden Strukturreformen finden. Die Erfahrungen aus der schwedischen Immobilienkrise der frühen 1990er Jahre zeigen, dass eine langfristige Erholung umfassendere Veränderungen erfordert, die über den Immobiliensektor hinausgehen.

Trotz zahlreicher Herausforderungen bleibt der chinesische Markt äußerst attraktiv für internationale Investoren. Angesichts der globalen Bedeutung der chinesischen Wirtschaft und der Lehren aus Immobilienkrisen der Vergangenheit ist eine kontinuierliche Bewertung der Situation für unsere Investmentstrategien unerlässlich.

Tom Griebel ueber uns Portrait
Über den Autor

Tom Griebel ist seit 2021 als Junior Analyst bei fiindo tätig und bringt frische, innovative Perspektiven ins Team. Mit einem Bachelor in Betriebswirtschaft und der Leidenschaft für die Aktienmärkte überzeugt er durch Neugier und Engagement. Auch in seiner Freizeit bleibt er den Kapitalmärkten treu und steht im ständigen Austausch mit Investoren aller Art.